Das diesjährige Copa America Endspiel lässt Erinnerungen an das Halbfinale von 2021 aufleben. Kolumbien erinnert sich mit einem lachenden und einem weinenden Auge daran. Sie beendeten das Turnier mit einem respektablen 3. Platz – jedoch war es der spätere Sieger Argentinien, der ihnen den Weg ins Finale verwehrte. Bleibt der Gigant für die Cafeteros unbezwingbar?
Kolumbien hat sich das Finale verdient
Diese schmerzliche Niederlage hatte auch was Gutes, schließlich ist Kolumbien seitdem unbesiegt – 28 Partien ist historischer Rekordwert! Mitunter holte man Siege gegen Japan, Deutschland und Spanien. Doch in Anbetracht des hohen Anteils internationaler Testspiele sind diese Erfolge mit Vorsicht zu genießen. Entscheidend sind die Pflichtbegegnungen und da lohnt sich ein Blick auf die gegenwärtige WM 2026 Qualifikation, wo die Kolumbianer nach sechs Partien als einziges Team ungeschlagen geblieben sind.
Ebenso beeindruckend ihre Auftritte in der Copa America. Den härtesten Gruppenrivalen Brasilien in Schach gehalten und somit Platz 1 belegt. Dass es letztendlich nicht für drei Siege gereichte, lag an der mangelnden Chancenverwertung im direkten Duell gegen die Selecao. Der Effizienz-Verlust hielt nicht lange an.
Zum Playoff-Auftakt rösteten die „Kaffeebauern“ Panama 5:0. Das Spiel war bereits in der ersten Hälfte entschieden. Der wahre Test folgte im Halbfinale gegen Marcelo Bielsas Uruguay – neben Argentinien der Topfavorit auf den Titel; und sie bestanden ihn. Mit einem Mann weniger auf dem Feld in der zweiten Halbzeit (gelb-rot für Munoz), brachten sie das 1:0 über die Ziellinie.
Auch wenn der Finaleinzug glücklich verlaufen ist, steckt hinter Kolumbiens 28 Monate andauerndem Lauf ein Rezept. Trainer Nestor Lorenzo setzt auf ein dynamisches Gefüge im Angriff ohne echten Topscorer. Bester Beleg dafür sind acht Spieler, die angeschrieben haben, wobei keiner mehr als zwei Treffer erzielt hat.
Die Gegner müssen sich darauf einstellen, dass jeder Spieler ein potentieller Torschütze sein kann. Defensiv hingegen will der Argentinier Lorenzo disziplinierte und kompakt aufgestellte Verteidigungslinien sehen. Die erste beginnt bereits in der Offensive, um tödliche Konter zu initiieren. Nur zwei Gegentore sprechen für sich!
Argentinien – meistens in weltmeisterlicher Form
Argentiniens Leistungen der jüngeren Vergangenheit lassen sich schnell zusammenfassen: Weltmeister, Copa America Sieger 2021 und aktueller Gruppenerster der WM 2026-Qualifikation. Wer darauf gehofft hat, die Albiceleste würden in naher Zukunft das Siegen satt haben, wird enttäuscht einsehen müssen, diese Mannschaft ist auf einer Mission – und sie ist noch nicht zu ende. Nach Jahren der Entbehrungen und zwei Messi-Rücktritten wollen die Gauchos Genugtuung.
Daher verwundert es nur wenig, mit welcher Disziplin das Turnier bislang absolviert wurde. Die Gruppenphase verlief perfekt – volle Punktezahl. Doch im ersten Ausscheidungsspiel gegen Ecuador (1:1) wackelte der Titelverteidiger. Der Underdog hatte in der 96. Minute den Sieg auf dem Fuß (oder am Kopf) und lancierte die Kugel rechts am Kasten vorbei.
Letztendlich konnte der Halbfinaleinzug erst im Elfmeterschießen gesichert werden, in das der Weltmeister ebenfalls holprig startete. Messi vergeigte gleich als erster einen frechen Lupfer über das Tor. Erneut waren es die Rettungstaten des exzentrischen Goalies Emilio Martinez, die Argentinien das bessere Ende bescherten.
Damit bewies die Truppe um Trainer Lionel Scaloni einmal mehr, dass nicht alles vom 1,70 großen Heilsbringer abhängt – weil das Gefüge um ihn herum tadellos funktioniert: Scaloni brachte taktische sowie personelle Balance und löste mit Rodrigo de Paul, Enzo Fernandez und Alexis Mac Allister Argentiniens nicht enden wollende Mittelfeldprobleme. Messi steht spätestens seit 2022 nicht mehr unter dem Druck zu jeder Zeit überall präsent sein zu müssen.
Ungleich, aber kein Klassenunterschied
Der Topfavorit geht demensprechend selbstbewusst ins Endspiel. Sieht man sich die Historie dieser Begegnung an, haben sie auch allen Grund dazu. In den vergangenen 15 Jahren gab es zwischen den zwei Ländern zwölf Aufeinandertreffen – gewinnen konnte Kolumbien nur eins davon. Allerdings darf man nicht unerwähnt lassen, dass abgesehen von einem 3:0 Argentiniens Siege überaus knapp ausfielen, zwei konnten erst in den Penalties errungen werden.
Davon abgesehen konnte Kolumbien immerhin vier Remis erzwingen. Das wird in einem Ausscheidungsspiel nicht mehr als ein kleiner Achtungserfolg sein. Da die Cafeteros noch keins von drei Elfmeterschießen gegen Argentinien gewinnen konnten, wird sie ein Unentschieden nach 90 Minuten nur bedingt zuversichtlich stimmen.
Was also muss passieren, damit die Sensation gelingt? Wie schon gegen Uruguay wird Kolumbien einen Gegner brauchen, der mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Gleichzeitig muss man selbst den denkbar besten Tag erwischen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand, aussichtslos ist die Ausgangslage keinesfalls. Der Außenseiter zeigt vor großen Namen keine Furcht und das hat nicht nur mit der defensiven Kompaktheit zu tun.
Ex-Real Madrid Star James Rodriguez erlebt einen zweiten Frühling und glänzt als Spielgestalter (6 Assists). Die Cafeteros sind an fast allen Positionen gefährlich, von ihm aber werden die entscheidenden Impulse erwartet. Und da ist noch immer Liverpools Luis Diaz, der 2021 den Ausgleich schoss und wieder den Unterschied machen kann. Dass Crystal Palace-Verteidiger Daniel Munoz sich im Halbfinale mit gelb-rot selbst vom Platz stellen musste, trifft die „Trikolore“ spürbar.
Ruhm, Ehre und Vermächtnis
Weil Kolumbien nur einen Copa America Titel (2001) holen konnte, Argentinien aber 15, ist man geneigt zu glauben, der Sieg in diesem Endspiel würde im Land des Kaffees für weitaus mehr Euphorie sorgen. Worauf nochmal zu erinnern ist, dass sich Albiceleste auf einer Mission befindet: Zunächst wären sie mit 16 Titeln alleiniger Rekordhalter und hätten damit eine CA-Trophäe mehr als Uruguay. Dann stehen die Olympischen Sommerspiele an und auch da möchte man den Kader mit Weltmeister-Spielern stärken so gut es geht.
Jeder weitere Titel trägt zum Aufbau des argentinischen Vermächtnisses bei, das auf dem Fundament Lionel Messi gründet. Wie lange dieses noch bestehen bleibt, ist eine andere Frage. Der kleine Zauberkünstler merkt in diesem Turnier, dass auch er nur ein (alternder) Mensch ist. Gegen Kanada spielte er mit einer Beinblessur, was ihn nicht daran hinderte ein Tor zu schießen. Das Team um ihn herum jedenfalls ackert sich bis zur Erschöpfung, damit er mit wenig Aufwand möglichst großen Schaden anrichten kann.
Wie geht das Duell aus?
Wie man es dreht und wendet, alles spricht für Argentinien. Ein Torfestival ist trotzdem unwahrscheinlich. Kolumbien wird möglicherweise den Lucky Punch in der regulären Spielzeit versuchen. Auf ein dramatisches Finale vom Elfmeter-Punkt zu setzen, könnte noch gefährlicher sein: Im Kasten der Gauchos erwartet sie der Elfmeterkiller und Meister der Fußball-„Shithousery“ Emiliano Martinez. Ihm werden die Cafeteros noch weniger von Angesicht zu Angesicht begegnen wollen, als Messi im offenen Spiel!
Nach der Halbfinal-Niederlage 2021 ist das nördlichste Land Lateinamerikas auf der Weltbühne ungeschlagen geblieben. Nun trifft man den Widersacher im Finale, der Kreis schließt sich. Sind die Kolumbianer der Aufgabe diesmal gewachsen?