Historische sechs Titel in seiner ersten Saison als Cheftrainer holte Hansi Flick mit dem FC Bayern und tauchte damit allen voran das Jahr 2020 ganz in die rot-weißen Farben seines Klubs. In der zweiten Saison lies sich der epische Erfolg allerdings nicht wiederholen, insbesondere die defensive Anfälligkeit wurde dem deutschen Branchenprimus zum Verhängnis. In Barcelona scheint sich Geschichte nun zu wiederholen – nach der nationalen Dominanz und dem Gewinn des nationalen Triples in seiner Debütsaison in Spanien verschärft sich zum Start in die neue Spielzeit erneut die defensive Anfälligkeit von Flicks Team, in den sozialen Medien ist bereits vom „Second Season Syndrome“ zu lesen. Doch was ist dran an dieser Behauptung? Wir haben das Syndrom mit Datenlieferant Opta unter die Lupe genommen.
Bayerns Sextuple-Saison unter Flick
Die Ära Flick begann in der bayerischen Landeshauptstadt denkbar harmlos: Zur Saison 2019/20 kam der einstige Co-Trainer von Deutschlands Bundestrainer Joachim Löw nach München und wurde dort Co-Trainer von Niko Kovac. Bereits nach dem 10. Spieltag – der Rekordmeister lag damals auf Rang 4 – folgte jedoch die Trennung von Kovac und Flick übernahm, zunächst noch als Interimstrainer. Was folgen sollte, war Münchner Fußballhistorie.
Der gebürtige Heidelberger gewann 22 seiner ersten 25 Pflichtspiele mit dem FC Bayern, übertraf damit sogar Pep Guardiolas Bestmarke (21 Siege) und sorgte kurz darauf für zwei gigantische Bundesligarekorde: 23 Pflichtspielsiege in Serie sowie 32 ungeschlagene Partien in Folge gab es nie zuvor im deutschen Profifußball – und sind bis heute unerreicht. Die Saison beendete Bayern unter Flick mit der Deutschen Meisterschaft, dem DFB-Pokalsieg und dem Triumph von Lissabon, wo aufgrund der Corona Pandemie die Champions-League-Endrunde als Finalturnier ausgetragen wurde. Mit dem Gewinn des UEFA Super Cups und des DFL Supercups sowie der Klub-Weltmeisterschaft kurze Zeit später wurde Flick zum erst zweiten Trainer nach Pep Guardiola (2009 mit Barcelona), der das historische Sextuple feierte.
Leistungsabfall im zweiten Jahr
In der zweiten Saison ging es für Flick an der Säbener Straße allerdings abwärts. Zwar verteidigte die Mannschaft ihren Meistertitel souverän, doch dem gegenüber standen das blamable Pokalaus gegen Zweitligist Holstein Kiel, das bittere Königsklassen-Aus im Viertelfinale gegen Paris St.-Germain aufgrund der alten Auswärtstorregel sowie interne Reibungen zwischen Flick und dem damaligen Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Was so kometenhaft als Märchen begonnen hatte, endete schon nach 19 Monaten mit der Vertragsauflösung in beidseitigem Einverständnis, sodass Flick den Posten als DFB-Bundestrainer übernehmen konnte. Und in München trotz des Leistungsabfalls im zweiten Jahr große Fußstapfen hinterließ: Die Siegquote von 81 Prozent (70 in 86 Spielen) sowie wettbewerbsübergreifend 2,55 Punkte pro Spiel sind aktueller FCB-Vereinsrekord.
Doch gab es in der zweiten Saison wirklich einen signifikanten Leistungsabfall? Oder ist der Vergleich mit einer solchen Fabelspielzeit wie Flicks Sextuple-Run in 2019/20 einfach generell ein unfairer? Nimmt man die Bundesliga als „ehrlichsten Wettbewerb“ zur Grundlage, liegen die Zahlen der beiden Spielzeiten zumindest nicht drastisch auseinander. In seiner ersten Saison holte Flick mit Bayern in 24 Ligaspielen 64 Punkte (2,66 pro Spiel) und erzielte 75 Tore (3,13). In der Folgesaison waren es in 34 Partien immer noch 78 Zähler (2,29) sowie 99 Treffer (2,9). Die sensationelle Siegquote von 2019/20 (21 Siege in 24 Ligaspielen; 87,5 Prozent) fiel zwar auf 70,6 Prozent, doch weder die Saison nach Flick (77 Punkte, 97 Tore) noch die Spielzeit vor ihm (78 Punkte, 88 Tore) weist bessere Zahlen auf. Die zweite Saison unter Flick war also alles andere als schlecht! Und auch wenn man den UEFA Super Cup, den DFL Supercup und die Klub-Weltmeisterschaft technisch zur Vorsaison zählen mag – gewonnen wurden diese drei Titel kalendarisch während der Saison 2020/21.
Was aber schon damals gravierend ins Gewicht fiel, ist die defensive Anfälligkeit. Unter Kovac kassierten die Bayern 2019/20 bis zum 10. Spieltag ganze 16 Gegentore, Flick stabilisierte das Team und ließ in 24 Spielen nur 16 weitere gegnerische Treffer zu (0,67 pro Spiel). In der zweiten Saison allerdings brökelte diese Stabilität, die Münchner mussten insgesamt 44 Gegentore schlucken (1,29) und stellten damit in der Liga trotz der Meisterschaft nur die fünftbeste (!) Defensive. Erstmals kam Kritik an Flicks risikofreudigem taktischen Ansatz auf, der eine zu hohe Anfälligkeit für Gegentore mit sich bringe.

Startrekord als deutscher Bundestrainer
Ein Umstand, der aber auch der erhöhten Anzahl an Pflichtspielen und damit der höheren Belastung der Spieler zugeschrieben werden kann, die nicht förderlich für Flicks intensives Spiel waren. So absolvierten die Münchner nach Flicks Übernahme 2019 insgesamt noch 36 Saisonspiele in 292 Tagen (alle 8,1 Tage ein Spiel), in der Saison 2020/21 dagegen waren es satte 50 Pflichtspiele in 247 Tagen (4,9). Selbst wenn man die 70 tägige Corona-Pause (März bis Mai 2020) aus der Spielzeit 2019/20 ausklammert, standen die Bayern in Flicks erstem Jahr „nur“ alle 6,2 Tage auf dem Platz und hatten somit wesentlich längere Regenerationspausen als in der Folgesaison. Hinzu kam das Fehlen von Sechser und Dirrigent Thiago, der zu Flicks Missfallen nach Liverpool transferiert wurde.
Allein an taktischen Versäumnissen seitens Flick scheint sich das schwächere Abschneiden in der Saison 2020/21 und vor allem die Gegentorflut also nicht festmachen zu lassen. Doch was ist dran am „Second Season Syndrome“? Wirklich Substanz erhält dieser Vorwurf, Flicks Mannschaften hätten im zweiten Jahr einen starken Leistungsabfall, erst bei seinem Engagement beim DFB, das zumindest ähnlich gut begann wie seine Zeit in München: Mit acht Siegen in Folge stellte Flick direkt einen neuen Startrekord auf! In seinen ersten 12 Monaten als Bundestrainer blieb er ungeschlagen (9 Siege, 4 Remis). Doch mit dem ersten Spiel im zweiten Jahr begann der Absturz.
Gegentorflut im zweiten DFB-Jahr
Von den nachfolgenden zwölf Spielen als DFB-Trainer konnte Flick nur mehr drei gewinnen, zwei davon Tests gegen den Oman (1:0) und Peru (2:0). Stattdessen stand über seiner Zeit als Bundestrainer das Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar und die zweitschlechteste Punktequote in der DFB-Geschichte (1,72). Nach einer 1:4-Testspielklatsche gegen Japan wurde er schließlich als erster Trainer in der Geschichte der deutschen Fußballnationalmannschaft freigestellt.
Auffällig ist auch dabei wieder der rapide Anstieg der Gegentore. Blieb Flicks Team bei den ersten acht Siegen noch sechs Mal ohne Gegentor und ließ insgesamt nur acht Gegentore in den ersten 13 Spielen zu (0,62 Gegentore pro Spiel), waren es im zweiten Jahr 22 gegnerische Treffer in nur zwölf Partien (1,83). Ganze sieben Mal ließ das DFB-Team dabei zwei oder mehr Gegentore in einem Spiel zu und damit genauso viele oder mehr wie in den ersten acht Spielen zusammen! Waren es in den ersten 13 Spielen noch 42 Tore (3,23 pro Spiel), gelangen in den zwölf Spielen im zweiten Jahr zudem nur noch 18 Treffer (1,5). In seinen letzten drei Partien als Bundestrainer sah der heute 60-Jährige sogar nur ein einziges Tor seiner Mannschaft.
Barcelona: Neuer Job, altes Muster?
Ließ sich beim leichten, aber messbaren Leistungsabfall in München noch mit der gestiegenen Belastung sowie einer umstrittenen Kaderplanung im Sinne von Flick argumentieren, sind die Gründe bei der Nationalmannschaft ganz anderer Natur. Der intensive Spielstil des 60-Jährigen zeichnet sich durch ein extrem hohes und risikobehaftetes Pressing aus. Jeder Schritt jedes Spielers muss gut gewählt sein, das ganze Team muss harmonieren und sich im Einklang bewegen, um den Erfolg von Flicks Taktik zu gewährleisten. Bei der Nationalmannschaft ist die Zeit für Vorbereitungen und fest verankerte Abläufe jedoch nur sehr kurz, Flicks Team fand zu selten in den notwendigen Rhythmus, dazu fehlte es auch an Konstanz – Flick war der einzige Bundestrainer, der in seinen 25 Spielen nie (!) dieselbe Startelf aufstellte. Die Kritik an seiner Taktik war daher so nachvollziehbar wie laut.
In Barcelona ist Flick nun zum Vereinsalltag zurückgekehrt, der wesentlich mehr Trainingszeit garantiert, um Abläufe und Bewegungsmuster zu perfektionieren – besonders im Spiel gegen den Ball. Schnell kehrte der Erfolg aus seiner ersten Saison in München zurück. Mit einer extrem hohen Abwehrkette („High Line“) und spektakulär atemberaubendem Offensivfußball eroberte Flicks Team Spanien im Handumdrehen und feierte das nationale Triple aus Meisterschaft, Copa-del-Rey-Triumph und dem Gewinn der Sucerpoa de Espana. In der Champions League war Barcelona in einem der epischsten Halbfinals der Geschichte gegen Inter Mailand auf Finalkurs, ehe Francesco Acerbi die Italiener Sekunden vor Schluss in die Verlängerung schoss (3:3, 3:3), wo Barca ein siebtes Gegentor kassierte und schließlich ausschied.

Bereits im Königsklassen-Halbfinal wurde Flick die defensive Anfälligkeit seines Systems also einmal mehr zum Verhängnis. Ein Trend, der sich nun in der laufenden Saison fortzusetzen scheint und in den sozialen Medien den Begriff des „Second Season Sydromes“ hervorgebracht hat. In La Liga steht Barca nach zwölf Spielen mit 28 Punkten und einem Torverhältnis von 32:15 auf Platz 2, im Vorjahr waren es zum Vergleichszeitpunkt noch 33 Zähler sowie 40:11 Tore. In der Champions League ist die Ausbeute nach den ersten vier Spielen von neun Punkten (15:5 Tore) auf sieben Zähler gesunken – bei weniger Treffern (12) und mehr Gegentoren (7). Genug Leistungsabfall, um von einem Syndrom sprechen zu können?
Läuft es wirklich schlechter?
Grundsätzlich ist Bacelona noch immer das Team, das in Europas Top-5-Ligen seit dem Beginn von Flicks Amtszeit die meisten Tore (218) erzielte, den dritthöchsten xG-Wert (179 xG in 76 Spielen) hinter PSG (190 in 82) und Bayern (185 in 73), die zweithöchste Siegquote (72,4 Prozent, Bayern 74 Prozent), sowie den zweithöchsten Ballbesitz (67 Prozent, PSG 68,1 Prozent) aufweist. Kurzum: Barcelona gehört unter Flick unbestritten zu den besten und dominantesten Teams der Welt!

Und das hat in der neuen Saison auch nicht nachgelassen, tatsächlich hat Barcelona in der laufenden Spielzeit teilweise sogar bessere Werte als im Vorjahr! Zwar erzielten die Katalanen 2024/25 noch durchschnittlich 2,9 Tore pro Pflichtspiel, lagen damit aber „nur“ 0,48 über dem xG-Wert. In dieser Saison liegt Barca mit 2,75 Toren pro Pflichtspiel sogar 0,65 über dem erwarteten Wert. Die Zahlen bei Schüssen pro Spiel (19,4 vs 17,3), Schüssen auf das Tor pro Spiel (7,4 vs 6,9), erfolgreichen Pässen pro Spiel (556 vs 550), erfolgreichen Pässen pro Spiel in der gegnerischen Hälfte (338 vs 312), Passquote (89 vs 88 Prozent), Ballkontakten pro Spiel (812 vs 809), Ballbesitz (67,5 vs 66,9 Prozent) und gewonnen Zweikämpfen pro Spiel (49 vs 48) sind in der aktuellen Spielzeit sogar minimal besser als in der Saison 2024/25.
In La Liga hat Barcelona diese Saison unter anderem die meisten erfolgreichen Pässe gespielt (6795), die beste Passquote (89,5 Prozent) sowie den höchsten Expected-Assists-Wert (21,5), die meisten Tore (32), Schüsse (243) und Schüsse auf das Tor (97), die meisten Ballaktionen (9881), die meisten Carries (2012) sowie die höchste Carries-Distanz (21.572 Meter, davon 10.560 Meter progressive Carries) und die zweitbeste Zweikampfquote (53,8 Prozent, Real Madrid hat 55,4).
Mehr Verletzungspech als Syndrom
Der Fußball von Flick ist also noch immer derselbe, die Intensität und Einsatzbereitschaft in der Mannschaft stimmt. Von einem Syndrom kann in dieser Hinsicht nicht gesprochen werden! Einzig bei Balleroberungen pro Spiel (39 vs 44) ist der Wert signifikant gesunken, was die erhöhte Anfälligkeit für Gegentore erklärt. Bei zugelassenen Torschüssen des Gegners (45) steht Barcelona aktuell im Ligavergleich auf Rang 8, nachdem man im Vorjahr noch die wenigsten gegnerischen Torschüsse zuließ (110).
Doch woran liegt der Leistungsabfall wirklich? Die wahrscheinlichste Erklärung liegt im Kader. Der intensive Fußball von Flick fordert aktuell einen hohen Tribut in Form von vielen Verletzungen, die nicht adäquat zu ersetzen sind. Bereits zehn Profi-Spieler der Katalanen fielen vier oder mehr Spiele aus, teils absolute Leistungsträger mit schweren Verletzungen wie Raphinha. Dazu kommt der Wechsel von Abwehrchef Inigo Martinez, der nicht ersetzt wurde und eine Lücke hinterließ. So musste Flick den Kader immer wieder mit Jugendspielern auffüllen, gegen den FC Girona (Toni Fernandez, 17 Jahre) und Olympiakos Piräus (Dro Fernandez, 17) standen zwei Youngstars sogar in der Startelf. Ein Qualitätsverlust, den es in der Vorsaison zu keinem Zeitpunkt gab und der Leistungsschwankungen durchaus nachvollziehbar macht.
Offensiv-Pressing ohne Star-Trio zu schwach
Am deutlichsten wird dies in der Offensive sichtbar: Das Star-Trio Lamine Yamal, Raphinha und Robert Lewandowski stand in dieser Saison erst 22 Minuten gemeinsam auf dem Platz! Das Fehlen dieser Spieler macht sich nicht nur in den Offensivaktionen bemerkbar, sondern vor allem in Pressingsituationen und der Positionierung auf dem Platz. Das Trio hatte letzte Saison mit 119 von 330 hohen Ballgewinnen maßgeblichen Anteil daran, dass Flicks Pressingtaktik, die auf der korrekten Positionierung und dem entsprechenden Anlaufverhalten seiner Offensivakteure beruht, funktionierte.

Verbuchten Yamal, Raphinha und Lewandowski letzte Saison noch 36 Prozent aller hohen Ballgewinne, so kommt das aktuelle Top-Trio Rashford, Torres und Yamal in dieser Saison nur auf 21 Prozent. Ohne die High Turnovers der Stürmer gerät die hochstehende Defensive der Katalanen deutlich öfter unter Druck. Gegentore aus Kontersituationen sind die Folge, wie zuletzt beim 3:3-Unentschieden in der Champions League in Brügge. Dieses Positionsspiel und die Abstimmung auf dem Feld sind weniger messbar als der unveränderte Einsatz, haben aber große Auswirkungen. So ist in dieser LaLiga-Saison die Zahl von Barcelonas Ballgewinnen im letzten Drittel pro 90 Minuten von 10,1 auf 8,0 gesunken und die Katalanen haben bereits 30 Großchancen zugelassen – Platz 13 im Ligaranking.
Das „Second Season Syndrome“ ist letztlich wohl mehr Mythos als mit Zahlen belegbar. Denn sobald die verletzten Spieler – speziell Raphinha – zurückkehren und Flicks Offensivmaschine wieder harmonisch läuft, wird sich die Qualtität der Mannschaft auch wieder in Erfolg umschlagen. Ob es dann für den großen Wurf in der Champions League reicht und Flicks riskante Spielweise auch in den entscheidenden K.o.-Spielen standhält, bleibt allerdings abzuwarten – das hat schon seine fantastische erste Saison in Barcelona gezeigt.