Drei Spieltage, neun Punkte, Torbilanz 13:2. Zweitbester Ligastart der Vereinshistorie. Sportlich betrachtet scheint Mbappes Abgang PSG gut getan zu haben. Aufmerksame Beobachter überrascht diese Entwicklung wenig. Und doch hielt man am Superstar fest, als ob die Zukunft des Clubs an seinem Verbleib abhinge – ja sogar die der Liga! Der über zwei Jahre andauernde Zirkus um einen möglichen Abgang zu Real Madrid wurden zum Politikum, weshalb sich Emanuel Macron nicht nehmen ließ, seine Macht als Frankreichs Präsident wohlwollend einzusetzen.
Letztendlich halfen weder finanzielle Überredungskünste noch das Hofieren der Politik. Tatsächlich hat Mbappe nur die Zeichen der Zeit erkannt und rechtzeitig die (lang geplante) Flucht ergriffen. Dem französischen Oberhaus stehen schwere Zeiten bevor. Und was der Ligue 1 möglicherweise bevorsteht, kann das Jahrhunderttalent allein ohnehin nicht verhindern.
Der langsame Marsch ins Desaster
Seit Qatar Sports Investments (QSI) das damals nur rund 100 Millionen teure Paris Saint-Germain aufgekauft hat, lag der Fokus auf große Namen. Das Zusammenspiel von individueller Qualität im Namen des Mannschaftskollektivs spielte eine untergeordnete Rolle. Der Rest wurde um die Stars herum zusammengeschustert.
Prestige war das oberste Gebot und man schlug prompt am Markt zu: Javier Pastore (2011), Zlatan Ibrahimovic, Thiago Silva, Marco Verrati (2012), David Beckham, Edinson Cavani. Die Einkäufe fruchteten, plötzlich befand man sich nach mehrjähriger Abwesenheit im erlauchten Kreis der CL-Stammgäste. Für Titel reichte es, für das eigentliche Ziel, die Königsklasse, nicht.
Wenn die Ligue 1 eine Talentliga ist, dann ist PSG ihr Aushängeschild, die genau von diesem Umstand ablenken soll. Es war stets eine notgedrungene Koexistenz, mit der die Ligue1-Oberen hausieren gehen konnten, wenn es darum ging, die Liga möglichst teuer zu vermarkten. Bis man zu viel wollte.
So wurden die Verhandler um LFP-Präsident Vincent Labrune gierig. Ein spanisches Konsortium erhielt gegenüber dem langjährigen Partner Canal+ den Vorzug. Mediapro versprach zwischen 2020 und 2024 814 Millionen jährlich, worüber man bei Canal+ nur den Kopf schütteln konnte; sie sollten Recht behalten. Um diese Unsumme decken zu können, wären bei einem Monatsabo von 25 Euro 4 Millionen Abonnenten nötig gewesen. Erreicht wurden 600 tausend.
Mediapro geriet schnell in Zahlungsverszug und musste sich bereits nach vier Monaten wieder zurückziehen. Notdürftig wurde das Paket an Amazon für 250 Millionen verschachert und ein Teil der Spiele viel zu teuer an den einstigen Dauer-Partner Canal+ verkauft, der seinerseits die Lizenz über beIN erwerben musste. Das zufälligerweise Nasser Al-Khelaifi gehört. Präsident von beIN sowie Eigentümer von PSG. Damit war man bei den Franzosen unten durch. Als 2024 die Auktion für die TV-Rechte der nächsten fünf Jahre anstand, schlugen sie erst gar nicht auf.
Das Megaprojekt PSG ist gescheitert – vorerst
Der absolute Höhepunkt der Stargala war natürlich Lionel Messi. Denkwürdige Momente gab es in seinen zwei Jahren wenige. Einer davon war es von den eigenen Fans ausgepfiffen zu werden. Obwohl der in die Jahre gekommene Argentinier im letzten Jahr überaus solide Leistungen zeigte, war es ihm doch anzusehen, dass die Zeit bei PSG nur ein liebloser Kompromiss ist.
Neymars Ansehen litt unter den enttäuschten Erwartungen. Man konnte ihm jedoch nicht unterstellen, dass er nicht alles dafür gab, den Henkelpott in die Höhe zu stemmen. Zumal ihn seine Verletzungen permanent zurückwarfen. Nachdem Neymar als körperliches Wrack Richtung Saudi Arabien abgewandert ist, versuchte Mbappe als Spieler und Sportdirektor in Personalunion den ganz großen Wurf. Angesichts des ausbleibenden Erfolgs und der ungewissen Zukunft der Liga rannte der Franzose bereitwillig in die Arme von Florentino Perez.
Und was bekamen die Ligue 1-Verantwortlichen ohne die Zugpferde von Weltstar-Format? Zunächst warteten sie monatelang mit heruntergelassener Hose darauf, bis der Vertragsabschluss fünf vor zwölf unter Dach und Fach war, um letztendlich weniger als die Hälfte der ursprünglich geforderten Summe zu bekommen. Den Zuschlag für die Fernsehübertragung erhielten DAZN und beIN – für etwa 400 Millionen pro Saison.
Der Deal sorgte gleichermaßen für Häme wie Kritik. Die Clubs waren bereits im Zuge der Corona-Krise dazu gezwungen, auf Sparflamme zu operieren. Mit dem geplatzten Mediapro-Vertrag und dem darauffolgenden Gebot der operativen Zurückhaltung, war des Gefühl der Unsicherheit allgegenwärtig. Laut der französischen Zeitung L‘Equipe standen acht Erstligisten kurz vor dem finanziellen Ruin.
Der neue Vertrag hat das Schlimmste abgewendet, besser gemacht hat er nichts. Der einstige Gigant Bordeaux (sechsfacher Meister) etwa existiert seit Juli als Proficlub nicht mehr. Das ist es was Frankreichs Clubfußball heute ausmacht: Ehemalige Größen, dessen alte Trophäen im Schatten von PSG an Glanz verloren haben. Und der Schatten, der von Paris ausgeht, reicht auch nicht mehr so weit.
Die Hauptstadt hat keine Weltstars mehr und das könnte für Club und Liga ein großes Problem darstellen. Jetzt hat man eben Ousmane Dembele, Achraf Hakimi, Gianluigi Donnarumma, Marco Asensio, Kolo Muani usw. Topspieler, die die Konkurrenz in gewohnter Manier in Grund und Boden spielen werden, aber keine schillernden Konterfeis mit denen man Kreditkarten und amerikanisches Bier schmackhaft machen könnte – oder einen vernünftigen TV-Deal ausverhandeln.
PSG braucht das Fernsehgeld nicht so sehr, wie es seine Vorzeige-Athleten gebraucht hat. Denn ihre Starpower allein konnte in allen Bereichen Geld generieren – viel Geld. Der höchst lukrative Nike Air Jordan-Deal wäre niemals ohne dieser Power zustande gekommen. Doch die Oberen des Sponsors stören sich längst am inzwischen erwartbaren Ausscheiden der Pariser in der Champions League-Endrunde und suchen verzweifelt nach der Assoziation mit ihrem Sponsor-Namen „Jordan“: Sechs NBA-Championships, zahlreiche MVP-Ehrungen und individuelle Rekorde. Unumstrittener GOAT-Status.
„Greatness“, ein Begriff, der mit Michael Jordan in Verbindung gebracht wird, ohne diesen aussprechen zu müssen. Er passt nicht zu einem Club, der seine Ziele in der Liga der Besten Jahr für Jahr verfehlt. Zuweilen geradezu spektakulär an sich selbst scheitert. Seit längerem machen Gerüchte die Runde, Nike wird den bis 2025 gültigen Vertrag auslaufen lassen. Ihr neuer Partner soll aus der Premier League kommen.
Wie geht es weiter?
Der ehemalige Provinzclub ist ein Riese geworden. Zu groß für sein Ökösystem, aber nicht groß genug, um beim Konzert der ganz Großen mitzuspielen. PSGs Trophäen sind inzwischen nicht das Silber wert, in dessen Name graviert wird. Und ab 24/25 wäre die Meisterschaft für den Rest der Teilnehmer mehr vom symbolischen Wert als von existenzieller Bedeutung: Rund sechs Millionen Euro sollen dem Sieger zustehen. So viel erhielt letzte Saison Absteiger Clermont.
In Paris sind die Gehälter inzwischen etwas gesunken. Am Gefälle gegenüber dem Rest der Liga hat sich nichts geändert. Im Schnitt ist es immer noch mehr als das dreifache als Olympique Marseille zu zahlen bereit ist – der Club mit den zweithöchsten Gehältern in Ligue1. Die Marketingmaschine PSG existiert in dieser Form nicht mehr, die finanzielle wie sportliche Schieflage ist nach wie vor da.
Für die Liga bedeutet das noch mehr Abwanderungen. Vielversprechende Talente können schwerer gehalten werden, das allgemeine Niveau sinkt. Das globale Interesse sinkt. Die Reduktion der Liga von 20 auf 18 Mannschaften ist angesichts der Lage nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das könnte die Kataris zum Umdenken zwingen: Ende Dezember 2023 verkaufte QSI 12,5 Prozent seiner Anteile an einen US Investor. Der Club, der damals noch 100 Millionen wert war, liegt heute bei ca. 4,25 Milliarden Euro Marktwert. Eine Möglichkeit mit einem Vermögen auszusteigen und sich nach einem neuen Projekt umzusehen. In England sind sie für Angebote offen.