Bernardo Silva, Erling Haaland & Kevin de Bruyne im Gespräch

Wo bleibt die englische Dominanz in Europa?

Unter den 12 Halbfinalisten der drei Europacups befindet sich nur ein Premier League Club. Aston Villa, Topfavorit auf den Sieg der European Conference League. So mancher Brite wird sich gedacht haben, „wie konnte das passieren, haben wir nicht die beste Liga der Welt?“ Die Frage ist berechtigt, schließlich gingen drei der letzten fünf CL-Titel an einen Big Six Club. Wieso das jetzt nicht zur Normalität werden muss, hat fünf gute Gründe.

1. Terminplan

Der Begriff „englische Wochen“ kommt nicht von ungefähr. Jedenfalls haben ihn die Engländer nicht bewusst geprägt, sondern die häufigen drei-Spiele-Wochen auf der Insel: Als Liverpool 21/22 beide Cup-Wettbewerbe gewann und das Champions League Finale erreichte, absolvierte die Mannschaft 63 Partien – Einsätze der Nationalspieler nicht einberechnet. Die auf Sparkurs fahrenden Reds brauchten eine ganze Saison, um sich davon zu erholen. Das strapaziöse Programm fordert seinen Tribut, die britische Spielweise auch. Der Mix aus einem überfüllten Terminplan und einer schnellen sowie körperbetonten Spielweise geht in die Knochen!

2. Verletzungen

Niemand hat so viel mit überfüllten Lazaretten zu kämpfen wie Premier League Vereine. 22/23 rangierte die PL in der Liste registrierter Verletzungen zwar knapp hinter der deutschen Bundesliga, dafür war die Verletzungsdauer im Schnitt um eine Woche länger, was insgesamt zur höchsten Ausfallquote führte. In nationalen Wettbewerben können Ausfälle besser kompensiert werden, da alle Beteiligten ein ähnliches Schicksal teilen und die Gegner vertrauter sind. Internationale Duelle hingegen erfordern die beste Elf mit der höchsten taktischen Variabilität auf dem Feld. Bereits das Fehlen eines Schlüsselspielers kann diese Variabilität erheblich einschränken.

2023/24 wies Newcastle bereits zur Saisonhälfte mit 29 Ausfällen eine beeindruckend lange Verletzten-Liste auf. (Foto: IMAGO)

3. Stärke der heimischen Konkurrenz

Zwischen 2018 und 2023 wurde die Dominanz Manchester Citys lediglich einmal von Liverpool unterbrochen. Und dennoch stellt kaum jemand in Frage, dass die Premier League im europäischen Vergleich zu den spannendsten Ligen gehört. Denn die Citizens pflügten in dieser Zeit nur einmal regelrecht durchs Feld und stießen sonst auf erheblich mehr Widerstand als Bayern, PSG oder Real Madrid. Grundsätzlich führt die höhere Leistungsdichte zu einem ebenso erhöhten physischen und mentalen Aufwand.

4. Mehrfachbelastung

Auf zwei Hochzeiten zu tanzen, kann sehr anstrengend werden, und die strategische Frage, auf welchen Wettbewerb der stärkste Fokus zu legen ist, wird zunehmend dringlicher. Während sich in anderen Ligen der spätere Meister früher abzuzeichnen beginnt und die Doppelbelastung weniger ins Gewicht fällt, herrscht im englischen Oberhaus noch immer reges Gedränge: So gewann Liverpool 2005 die Champions League, beendete aber die Liga als fünfter, Chelsea landete 20/21 auf 4 und Man United, Europa League Sieger von 2017, schloss die Saison auf Platz 6 ab. Keineswegs zu unterschätzen sind Cup-Wiederholungsspiele, die fällig werden, sofern es in der ersten Begegnung zu keiner Entscheidung gekommen ist. Weswegen diese ab 2024/25 der Vergangenheit angehören werden!

5. Erschöpfung

Drei Titel in einer Saison zu holen, ist in jedem Land ein Erfolg von historischem Ausmaß. Übertroffen wird der Wert des „Treble“ aber nur in England. Den gewann zuletzt Manchester City 2023 und lieferte im Champions League Finale gegen Inter das beste Beispiel dafür, wie schweißtreibend es ist, auf der Insel zu kicken: Das Kräfteverhältnis zwischen City und Inter Mailand hätte nicht eindeutiger sein können. Trotzdem war der Triumph der Citizens am Ende einer langen und mühsamen Saison der reinste Kraftakt; weniger der taktischen Brillanz von Pep Guardiola geschuldet als viel mehr von Inters beispiellosem Pech vor dem gegnerischen Tor begünstigt.

CL-Achtelfinale 23/24: Underdog Porto lieferte den Gunners einen Kampf auf Messers Schneide. (Foto: IMAGO/Mutsu Kawamori)

Europa League und Conference League unwichtig?

Man würde den Briten unrecht tun, wenn man ihren vergleichsweise mangelnden Erfolg in der Europa League als Desinteresse auslegt. Aber wie Real Madrid in der Königsklasse, hat Sevilla den Mythos etabliert, der Endgegner ihres Wettbewerbs zu sein. Was natürlich nicht stimmt. Dennoch, seit 2010 ist die spanische Vormachtstellung statistischer Fakt. Davon abgesehen ist der Favoritenkreis ausgeglichener als in der Champions League.

Genau das können die Engländer nicht gebrauchen – noch mehr Konkurrenzdichte. Es ist bezeichnend, dass die vergangenen EL-Siege eines englischen Clubs entweder gegen einen Ligarivalen oder eine nicht-spanische Mannschaft errungen wurden. Diese Ehre kam zuletzt Liverpool zuteil – 2001 gegen Deportivo Alaves. Die seit 2021 bestehende Conference League könnte allerdings einen positiven Effekt auf die englische Trophäensammlung haben.

Tatsächlich könnte es der Wettbewerb sein, in der die allgemeine Stärke der Liga auf lange Sicht am meisten zum Ausdruck kommt. Im finanziellen Kräftemessen ragen Englands Mittelständler heraus. So gibt West Ham nahezu das doppelte an Spielergehältern aus im Vergleich zu Fiorentina. Kein Wunder, dass die zweite Auflage der Conference von den Hammers gewonnen wurde. Bei Tottenham hat es einfach nicht sein sollen, als eine höhere Gewalt – Corona – für das vorzeitige Aus sorgte. Und Aston Villa müsste sich schon selbst am Finaleinzug hindern.

Die „Conference“: Titelchance für Premier Ligisten, die seit Jahrzehnten auf eine Trophäe warten. (Foto: IMAGO/Jonathan Moscrop)

Fazit

Überfülltes Programm, Verletzungen, Intensität, Erschöpfung und Spanien sind die ausschlaggebenden Faktoren, die England lediglich davon abhalten den internationalen Club-Fußball noch mehr zu dominieren. Die Nummer 1 – zumindest laut UEFA 5-Jahreswertung – sind sie dennoch. Ausnahmen wird es geben, aber genau das macht die Magie der Europacups aus: Was auf dem Papier geschrieben steht, wird nicht immer auf dem Feld gespielt.