Bayern Spieler feiern ein Tor gegen Gladbach.

Saisonstarts der Extreme: Bayern auf Rekordjagd, Gladbach im freien Fall

Es gab eine Zeit im deutschen Fußball, da standen der FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach gemeinsam an der Spitze der Bundesliga. Von 1969 bis 1977 teilten die beiden Vereine neun Meisterschaften in Folge untereinander auf – fünf Titel gingen an die Borussia, vier nach München. Die 1970er Jahre waren geprägt von der Dominanz dieser beiden Fußball-Giganten. Doch während der FC Bayern fast ein halbes Jahrhundert später mit 34 Meisterschaften als das Nonplusultra des deutschen Fußball gilt, konnte die Borussia nach dem Titelgewinn 1977 keine weitere Meisterschale mehr gewinnen. Eine Entwicklung, die sich in der aktuellen Spielzeit auf kuriose Weise widerspiegelt: Die Bayern sind auf Rekordjagd, Gladbach findet sich dagegen im tristen Tabellenkeller der Bundesliga wieder.

Direkter Vergleich der Saisonstarts zwischen den Bayern und Borussia Mönchengladbach
Die Zahlen könnten nicht deutlicher sein: Kluft zwischen Tabellenführer und den strauchelnden Gladbachern ist eklatant! (Credit: Getty Images)

Historischer Saisonstart des FC Bayern

Über Jahre hinweg galt Borussia Mönchengladbach als Angstgegner der Bayern. Egal in welcher Verfassung die beiden Mannschaften aufeinandertrafen, ein ums andere Mal wurden die Fohlen zum Stolperstein. Dieses Narrativ scheint der Rekordmeister inzwischen jedoch beendet zu haben. Immerhin wurden die letzten vier direkten Bundesligaduelle allesamt gewonnen. Inzwischen hat sich gar ein anderes Team als Bayern-Schreck etabliert: Eintracht Frankfurt.

Die Münchner kassierten im Profifußball bei keinem Verein mehr Niederlagen als bei der Eintracht (24, wie in Gladbach). Drei der letzten sechs Bundesligaspiele im Deutsche Bank Park gingen verloren (2 Siege, 1 Remis, 13:16 Tore). Und ausgerechnet dorthin ging es am vergangenen Wochenende für das Team von Trainer Vincent Kompany. Wer jedoch auf einen neuerlichen Erfolg der Adlerträger oder zumindest ein enges Spiel hoffte, wurde am Samstagabend enttäuscht. Die Bayern gingen bereits nach 15 Sekunden durch Neuzugang Luis Diaz in Führung und machten letztlich auch mit den Frankfurtern kurzen Prozess (3:0).

Im zehnten Pflichtspiel der Saison feierten die Münchner somit den zehnten Sieg – ein Saisonstart für die Geschichtsbücher. Denn: Nie zuvor gewannen die Bayern die ersten zehn Pflichtspiele in einer neuen Saison seit dem Bundesliga-Aufstieg 1965 – Vereinsrekord! Sollten die Münchner nach der Länderspielpause auch gegen Borussia Dortmund und in der Champions League gegen Club Brügge erfolgreich sein, winkt sogar der Europarekord (Real Madrid gewann in der Saison 1968/69 elf Pflichtspiele zum Auftakt).

Vielleicht war der Transfersommer doch nicht so übel!

Dass die Bayern besser in die Spielzeit starten würden als in der glorreichen Saison 2012/13 unter Jupp Heynckes (9 Pflichtspielsiege), erschien dabei im Sommer noch völlig realitätsfern. Schließlich war die Gemütslage an der Säbener Straße nicht die beste. Transferziel Nummer eins Florian Wirtz zog es auf die Insel zum FC Liverpool, Nick Woltemade war zu teuer und wechselte letztlich ebenfalls in die Premier League. Und selbst der 70-Millionen-Euro-Einkauf Luis Diaz wirkte nur wie eine Notlösung. Schließlich sei der Kolumbianer zu alt und zu teuer und eigentlich sollen ja Bradley Barcola und Nico Williams die präferierten Optionen für den linken Flügel gewesen sein.

Die Skepsis, ob Kompany nach diesem vermeintlich schwachen Transfersommer mit einem ausgedünnten Kader erfolgreich sein kann, ist längst einer bajuwarischen Euphoriewelle gewichen. Schließlich hat man nicht nur die ersten zehn Pflichtspiele gewonnen, man ist zudem seit zwölf Auswärtspartien in der Bundesliga ungeschlagen, hat zum ersten Mal seit 2020 acht Bundesligaspiele in Folge siegreich bestreiten können und überzeugt auch spielerisch mit attraktivem Offensivfußball.

Spieler brillieren im Kompany-System

Dies ist in erste Linie der Verdienst von Trainer Kompany. Wurde dessen Verpflichtung im Sommer 2024 noch kritisch beäugt, straft der Belgier seine Kritiker inzwischen reihenweise Lügen. Gegen Frankfurt knackte er in seinem 40. Bundesligaspiel als Trainer die 100-Punkte-Marke (31 Siege, 7 Unentschieden), nur Pep Guardiola gelang dies in der Bundesligahistorie in weniger Spielen (39). Unter Kompany zeigt das Team ein klares taktisches Profil, das sich durch ein kontrolliertes Aufbauspiel und variable Pressingmuster auszeichnet. Die Bayern pressen dabei nicht nur, um den Ball zu gewinnen, sondern auch um daraus direkte Torchancen zu kreieren. Die Flügelspieler halten bewusst die Breite, um immer wieder in Eins-gegen-eins-Situationen zu kommen.

Diese taktischen Vorgaben werden durch Halbraumläufe von beispielsweise Außenverteidiger Konrad Laimer ergänzt, die für mehr Tiefe und Überzahlsituationen sorgen. Der Österreicher kommt in der aktuellen Bundesligasaison bereits auf ein Tor und zwei Assists und hat im Monat September die meisten Torchancen aller Spieler in Europas Top-5-Ligen kreiert (13). Als Metronom des Bayernspiels fungiert wie gewohnt Joshua Kimmich. Der 30-Jährige kommt in der Bundesliga auf eine Passquote von 92 Prozent und spielt mehr erfolgreiche Pässe in der gegnerischen Hälfte (282) als alle anderen Bundesligaspieler. 427 Zuspiele brachte er bislang erfolgreich an den eigenen Mann (Platz 5 in der Liga), wovon 119 gefährlich im letzten Drittel des Spielfeldes endeten (Platz 2 hinter Olise, 133). Die exzellente Abstimmung Kimmichs mit seinen Hinterleuten und den Flügelspielern sorgte bislang für ein erfolgreiches Gleichgewicht aus Kontrolle und vertikalem Druck.

Opta Grafik: Bayern kontrolliert nahezu alle Zonen (mehr als 55% der Ballberührungen) in der Bundesliga.

Nicht zuletzt dadurch fühlen sich im Kompany-System besonders die Offensivakteure pudelwohl. Mit 25 Toren nach sechs Spieltagen haben die Bayern auch in dieser Hinsicht einen neuen Bundesliga-Rekord aufgestellt. Neuzugang Diaz sammelte bereits neun direkte Torbeteiligungen in seinen ersten sechs Bundesligaeinsätzen (5 Tore, 4 Assists, 3,56 xG). Seit der Saison 2004/05 gelangen nur Harry Kane mehr Scorer in seinen ersten sechs Bundesligaspielen (11, Erling Haaland ebenfalls 9). Auch Michael Olise (3 Tore, 3 Assists, 2,58 xG) und Serge Gnabry (3 Tore, 3 Assists, 1,27 xG) kommen bereits auf je sechs Torbeteiligungen in der noch jungen Bundesligasaison.

Harry Kane überragt

Kein Bayern-Akteur überzeugt in den ersten Saisonwochen jedoch mehr als Harry Kane. Der Angreifer, der sich immer wieder ins Mittelfeld fallen lässt und aktiv am Spielaufbau teilnimmt, erzielte als erster Spieler der Bundesliga-Geschichte elf Tore (5,89 xG) an den ersten sechs Spieltagen einer Saison. Insgesamt steht der Engländer nach zehn Pflichtspielen bei unglaublichen 18 Treffern und drei Assists.

Es erscheint daher nur folgerichtig, dass er bereits Ende September gegen Werder Bremen in seinem 104. Pflichtspiel für den Rekordmeister sein 100. Tor erzielte. Nie zuvor hatte ein Spieler in Europas Top-5-Ligen weniger Spiele für einen Verein benötigt, um diese beeindruckende Marke zu knacken (Ronaldo und Haaland brauchten je 105 Spiele).

Opta Grafik: Wie schießt Harry Kane seine Tore und von wo aus?

Kane und seine Bayern sind derzeit historisch gut unterwegs, der Saisonstart war sogar besser als der unter Heynckes in der Saison 2012/13, an deren Ende die Münchner das Triple gewannen. Sollte das Kompany-Team in der entscheidenden Phase der Spielzeit verletzungfrei bleiben, scheint noch deutlich mehr möglich zu sein als „nur“ ein historisch guter Start in die Saison. Immerhin berechnet der Opta Supercomputer für den FC Bayern eine Wahrscheinlichkeit von fast 85 Prozent auf die deutsche Meisterschaft und 10,26 Prozent auf den Titelgewinn in der Champions League (dritthöchste Wahrscheinlichkeit aller Teams).

Opta Grafik: Der Supercomputer sagt. Bayern wird Meister, Gladbach steigt ab.

Chaos am Niederrhein

Während die Profis des FC Bayern am vergangenen Sonntag ihre Erfolge ausgiebig auf dem Münchner Oktoberfest feierten, herrscht in Gladbach Chaos und Tristesse. Die sportliche Krise der Fohlen schwebt über allem. Aus den ersten drei Ligaspielen holte man bei einem Torverhältnis von 0:5 nur einen Zähler, sodass man bereits Mitte September, einen Tag nach der 0:4-Heimpleite gegen Werder Bremen, die Reißleine zog. Trainer Gerardo Seoane musste seine Koffer packen. Der Schweizer brachte es seit seiner Amstübernahme im Sommer 2023 auf einen Bundesliga-Punkteschnitt von 1,13 Zählern (71 Spiele, 20 Siege, 20 Unentschieden, 31 Niederlagen). Ein Schnitt, der zwar zuletzt in der Saison 1997/98 einen direkten Abstieg zur Folge gehabt hätte, der aber gleichzeitig auch die schwächste Bilanz eines Gladbacher Übungsleiters seit Michael Frontzeck von 2009 bis 2011 (0,98 Punkte pro Spiel) darstellt.

Schlechter startete man am Niederhein zuletzt in den Jahren 1999 (in der 2. Bundesliga) und 2015 in eine neue Spielzeit. In beiden Jahren verlor man gar alle drei Auftaktspiele bei einem Torverhältnis von jeweils 2:8. Während man damals in den folgenden drei Partien jedoch sechs Punkte (1999) und 2015 immerhin noch drei Zähler einfahren konnte, verpuffte der Wechsel hin zu Interimstrainer Eugen Polanski fast komplett. Zwar konnte man Bayer Leverkusen einen Punkt abtrotzen, geriet nur eine Woche später zu Hause gegen Frankfurt – nach einem zwischenzeitlichen 0:6-Rückstand – jedoch mit 4:6 unter die Räder. Eine desolate Leistung, die nicht nur einen Absturz auf den letzten Tabellenplatz, sondern auch personelle Konsequenzen nach sich zog.

Das Präsidium und der Aufsichtsrat haben Roland Virkus „auf dessen Vorschlag hin von seinen Aufgaben entbunden“, ließ die Borussia wenige Tage nach der Frankfurt-Klatsche verlauten. Neben den Fragezeichen auf der Trainerposition steht die Borussia nun auch ohne Geschäftsführer Sport da. Die kurzfristige (Trainerfrage und potentielle Verstärkungen im Winter) und langfristige sportliche Ausrichtung des Teams hängt völlig in der Luft.

Sportliche Talfahrt mit Ansage

Wenngleich die Borussia am vergangenen Wochenende immerhin einen Punkt zu Hause gegen den SC Freiburg erkämpfte (0:0), kann von einem Befreiungsschlag keine Rede sein. Nach sechs Spieltagen ist man als einziges Team in der Bundesliga noch immer sieglos und steht mit drei Zählern nur dank eines geschossenen Treffers mehr vor dem 1. FC Heidenheim auf dem 17. Tabellenplatz.

Der schwache Saisonstart der Gladbach kommt dabei keineswegs aus dem Nichts, er ist vielmehr die Fortsetzung eines anhaltenden Abwärtstrends. Die Fohlen sind seit nunmehr 13 Bundesligaspielen ohne Sieg (5 Unentschieden, 8 Niederlagen) – ein neuer Vereinsnegativrekord! Zwölf Spiele ohne Dreier gab es zuvor nur in der Abstiegssaison 2006/07 unter Jupp Heynckes. Der bislang letzte Erfolg in der Liga datiert vom 29. März, als man RB Leipzig mit 1:0 besiegte. Dieser Sieg war saisonübergreifend auch der einzige Bundesligaerfolg im heimischen Borussia-Park seit Anfang Februar (4 Unentschieden, 6 Niederlagen).

Probleme an beiden Enden des Feldes

Das Gladbacher Spiel offenbart in dieser Saison jede Menge Unzulänglichkeiten, wobei die Defensive des Teams die wohl größte Schwachstelle darstellt (12 Gegentore). Vor allem bei Kontern zeigte man sich bislang anfällig. Eine mangelhafte Rückwärtsbewegung und oftmals zu hochstehende Außenverteidiger machen dem Gegner das Spiel in die Tiefe leicht. Die fehlende Abstimmung in der Viererkette tut ihr übriges.

Opta Grafik von Borussia Mönchengladbach. Wie viele Schüsse hat Gladbach zugelassen und von welcher Position aus wurden sie tatsächlich erzielt.

Im Mittelfeld fehlt es der Mannschaft häufig an Struktur, es mangelt an Kontrolle und kreativen Impulsen im Spiel nach vorne. Dort fehlt es dann wiederum an der Durchschlagskraft (5 Tore, 7,49 xG). Die vorhandenen Chancen werden zu selten genutzt (Schussverwertungsquote: 5,95 Prozent). Nationalspieler Tim Kleindienst, der nach einer Meniskusoperation weiterhin ausfällt, wird dabei schmerzlich vermisst. Schließlich blieb die Borussia in vier von sechs Bundesligaspielen ohne eigenen Treffer, in der ersten Halbzeit schoss man als einziges Team überhaupt noch kein Tor. In sechs Spielen lagen die Fohlen noch nicht ein einziges Mal in Führung.

Als die Gladbacher letztmals derart schwach in eine neue Spielzeit starteten, gelang jeweils ein starker Tunraround. Die Zweitligasaison 1999/00 beendete man nach drei Auftaktniederlagen auf Platz 5, die drei Pleiten zum Start in die Saison 2015/16 überstand man ebenfalls schadlos und wurde am Ende Vierter in der Bundesliga.

Aufgrund der Unruhe auf allen Ebenen im Verein scheint ein solches Comeback in der aktuellen Spielzeit jedoch nur schwer vortstellbar. Laut Supercomputer liegt die Chance der Gladbacher, die Saison unter den ersten Fünf zu beenden bei 0,9 Prozent, die Wahrscheinlichkeit auf einen direkten Abstieg belaufen sich dagegen auf 32,8 Prozent. In fast der Hälfte aller Simulationen (45,6 Prozent) landen die Fohlen bestenfalls auf einem Relegationsplatz. Es wartet in den verbleibenden 28 Bundesligaspielen also jede Menge Arbeit auf die Borussen – unter anderem am übernächsten Spieltag beim direkten Duell mit dem FC Bayern!