Vor wenigen Wochen sah die Welt für Manchester City noch in Ordnung aus. Sie gewannen nicht immer in gewohnt dominanter Manier, die Resultate stimmten trotzdem. Was diese nicht verraten haben, dass es zum Teil Arbeitssiege waren. Im Nachhinein war das Straucheln des englischen Meisters abzusehen. Sechs sieglose Partien in Serie, davon fünf Niederlagen, sind allerdings ein Totalversagen. Nun treffen die Citizens in Anfield auf die Reds und niemand sieht sie auf Augenhöhe mit den Hausherren. Was ist passiert?
Kopflose Citizens
Alle Experten sind sich einig. Für das historisch schlechte Abschneiden ist Rodri verantwortlich – beziehungsweise seine Abwesenheit. Bei einem derart tiefen und sagenhaft teuren Kader ist das verständlicherweise schwer nachvollziehbar. Tatsächlich ist die phänomenale Entwicklung des Spaniers innerhalb des Systems Guardiola zum Problem geworden.
Es ist zu genüge gesagt worden, was seine Wichtigkeit ausmacht: Ausgestattet mit außergewöhnlich hohem Fußball-IQ und tödlicher Effizienz (3.633 Pässe in der Vorsaison. Passquote über 91 Prozent!) dirigiert er das Kollektiv um sich wie ein Orchester. Der Mittelfeld-Maestro gibt der Defensive Stabilität und bildet gleichzeitig das offensive Fundament. Er ist die Schaltzentrale, über die das Gesamtgefüge präzise koordiniert bewegt wird. Guardiola hat die Evolution seines Spielers selbst verursacht. Nun versucht er verzweifelt das Abhängigkeitsverhältnis zum Ballon d’or Gewinner zu reduzieren.
Die eigentliche Stärke der Citizens – das riskant hoch verlagerte Pressing – ist zur Schwachstelle geworden. Das Mittelfeld lässt Räume offen, weil es nicht schnell genug mit der Angriffslinie nachrückt. Das Kompakte ist verlorengegangen. Dafür werden die eigenen Spieler für das Pressing des Gegners plötzlich anfällig und können in ungünstige Situationen gedrängt werden.
Diesem Druck kann man mit abgeklärter Erfahrenheit entgegenwirken. Davon hat Pep genug. Im Schnitt ist der City-Kader der viertälteste der Liga. So steht der Trainer vor einem weiteren fundamentalen Problem, die fehlende Kompaktheit mit Fitness auszugleichen. Kyle Walker etwa, der einst für seine überragende Geschwindigkeit bekannt war, wird zunehmend häufiger von seinen Kontrahenten stehengelassen.
Liverpool mit kleinen Makeln in Hochform
Citys Problem ist Liverpools große Stärke – die Verteidigung. Acht Gegentreffer in zwölf Begegnungen, Liga Bestwert, sprechen eine klare Sprache. Slot erfindet an der Merseyside nichts neu, er justiert nur die Maschine, die Klopp gebaut hat. Weshalb der Übergang von Verteidigung in den Angriffsmodus traditionell reibungslos verläuft.
Vervollständigt wird die Defensive erst aber dadurch, dass die Mannschaft es versteht, den Prozess im umgekehrten Sinne weiterzuführen: Während sich City zuletzt wiederholt als Konteranfällig erwiesen hat, fungiert die Restverteidigung Liverpools wie ein zuverlässiges Auffangnetz für fehlgeschlagene Vorstöße Richtung Tor.
Bei 24 Treffern, zweitbester Ligawert hinter Tottenham, steht die daraus resultierende Tordifferenz (16) für Dominanz. Dabei entspricht das nicht ganz den Tatsachen. Liverpool geriet mehrfach in Rückstand. Zuletzt gegen Southampton (3:2), gegen Brighton (2:1), gegen Mailand in der Champions League (3:1) und gegen West Ham im EFL Cup (5:1). Aber auch das ist eine traditionelle Qualität der Reds – Spiele zu drehen oder zumindest noch einen Punkt rauszuholen, wie bei Arsenal zuhause, als sie zwei Mal ausgleichen mussten (2:2).
Im Vergleich
Vielleicht ist Slots bislang größter Geniestreich nicht taktisch bewertbar. Eher ist die soziale Komponente des Trainers hervorzuheben und seine Art mit dem Kader zusammenzuarbeiten. Diese Qualität wird von seinen Spielern oft betont. Es gibt ein Vertrauensverhältnis und das spiegelt sich auf dem Feld wieder.
Es gibt Fragezeichen, wie etwa Mo Salahs Vertragssituation. Das hindert den Ägypter aber nicht daran, der Topscorer der Mannschaft (10 Treffer, 6 Assists) zu sein. Trifft er nicht, ist Luis Diaz zur Stelle (5 Treffer, 2 Assists). Hinzu kommen sieben weitere Torschützen mit jeweils mindestens einem Treffer und einer Torvorlage. So sieht Harmonie aus!
Weniger harmonisch geht es in dieser Saison bei City zu. Haaland erledigt seine Aufgabe als Tormaschine gemäß den Erwartungen. Topscorer der Liga, was denn sonst. Doch weit und breit keine Sicht von Phil Foden (19 Tore, 8 Assists in 23/24). Der hinkt seiner Form hinterher, de Bruyne wirkte bereits vor seiner letzten Verletzung zeitweise müde und verbraucht. Diese Kritik trifft aber nicht allein auf ihn zu.
Julian Alvarez (11 Tore, 9 Assists in 23/24), den man an Atletico Madrid für gutes Geld abgegeben hat, könnte Guardiola jetzt gut gebrauchen. Und Gündogan wollte Barcelona nie verlassen, um wieder nach Manchester zurückzukehren. Die Stimmungslage könnte in den beiden Lagern nicht unterschiedlicher sein. Das bestätigen die Auftritte der vergangenen Champions League Runde.
Während Liverpool seinen Angstgegner 2:0 bezwang, blamierte sich die Sky Blues bis auf die Knochen. Die Gäste aus Rotterdam benötigten die verbleibenden 15 Minuten des Spiels um einen 0:3-Rückstand aufzuholen. Vor einem Monat wäre solch eine Situation undenkbar. Andererseits war es auch undenkbar, dass diese Truppe in Serie zwei bis vier Tore kassiert pro Partie kassiert. Das hat es seit den 60ern nicht mehr gegeben. Die sonst erfolgsverwöhnten, wie unauffälligen City-Fans quittierten die Vorstellung am Dienstagabend mit Fassungslosigkeit und Buhrufen.
Für die Gäste könnte es hässlich werden
Angesichts der Umstände ist der direkte Vergleich nur bedingt von Bedeutung. Statistisch gesehen, stehen die Karten für Liverpool ohnehin nicht schlecht. Und dass die Reds auf eigenem Grund und Boden eine Macht sind, ist allseits bekannt.
Das gilt selbst für einen Giganten wie Man City, der nur zwei Siege in 21 Jahren vorweisen kann. Hauptsächlich rühmten sich die Himmelblauen damit, in Liverpool viele Unentschieden erzwungen zu haben. In der gegenwärtigen Situation würde sich ein Punkt wie ein Sieg anfühlen.
Sowohl Tottenham als auch Feyenoord demonstrierten eindrucksvoll, wie labil dieses erbarmungslose Ungetüm geworden ist. Angesichts des Aufeinandertreffens mit den Mentalitätsmonstern aus Liverpool müssen die Himmelblauen aufpassen, dass es ihnen nicht wie dem Stadtrivalen letztes Jahr ergeht – 0:7! Die Reds lieben die großen Spiele und kommen sie erst in Fahrt, werden sie nicht mehr aufzuhalten sein. Tipp: Sieg Liverpool Handicap – 0:1!